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Ein Gespräch mit Stephan Zimmermann über "My Kind Of People"

Die Aufnahmen zu "My Kind Of People" sind an einem Tag entstanden. Da muss alles passen.
Stimmt. Aber das war kein Problem. Denn natürlich kenne ich alle Musiker schon lange und sehr gut. Ich weiß genau, wo ihre Stärken liegen und wie sie arbeiten. Aus diesem Grund habe ich mich auch für sie entschieden. Nehmen wir Thilo Wagner und Gregor Beck: Das sind zwei perfekte "Geradeaus-Spieler". Thilo kann in seinem Spiel einen enormen, geradezu Oskar Peterson artigen Druck erzeugen und Gregor hat diesen Swing, der einen Song ganz natürlich trägt. Thomas Stabenow stand ohnehin außer Frage, er hat ja bereits auf meiner letzten CD Kontrabass gespielt.

Die Stücke wurden sozusagen in Echtzeit erst während der Aufnahme-Session arrangiert. Das ist ja wie eine zweite Improvisations-Ebene.
Das klingt ungewöhnlicher als es ist. Alle Musiker zählen nicht zu denen, die unbedingt fertige Arrangements vom Blatt lesen müssen und große strukturelle Vorgaben brauchen. Das sind alles herausragende spontane Entwickler und Gestalter. Deshalb konnte ich es mir erlauben zu sagen, ich will, dass diese Musik einfach und spontan gemeinsam ins Hier und Jetzt gestellt wird. Die Musiker bekamen ein Leadsheet mit den Changes und der Melodie. Und dann haben wir im Studio die Arrangements besprochen. Daraus entstand eine sehr freie und somit befreiende Aufnahme-Atmosphäre.

Gab es dennoch eine Art Klangideal, dem die Aufnahmen folgen sollten?
Natürlich. Aber auch das war festgemacht an den Personen. Ich wusste ja, dass Thilo und Gregor unendlich oft zusammenspielen, also perfekt harmonieren. Also habe ich mit Thomas Stabenow einen Bassisten dazugeholt, der weniger eingreift als intelligent verzahnt. Thomas hört sich ein und passt sich unmerklich an. Es ist für mich immer wieder unglaublich, wie unterschiedlich sein Bassspiel in unterschiedlichen Band-Kontexten klingt. Grundsätzlich wollte ich also eine sehr entspannte Aufnahme machen. Auch ich als Solist wollte nicht der Standard-Verlockung erliegen und die Stücke primär mit hohem technischem Aufwand interpretieren. Ich wollte relaxt meinen Bogen über die Stücke spannen - natürlich harmonisch korrekt, aber ohne große technische Klimmzüge auf dem Instrument. Man kann die natürliche Schönheit, die in diesem Melodien steckt, nämlich auch kaputt spielen.

Dahinter steht der "Fluch des Standard-Spielens", die Vergleichbarkeit.
Diese Vergleichbarkeit verleitet dazu, das Besondere zum Selbstzweck zu machen und zum Beispiel die eigene Technik über das Stück und seine natürlichen Grenzen zu stellen. Nicht, dass das uninteressant sein muss. Aber daraus wird schnell ein Wettbewerb. Und als solchen verstehe ich Musik nicht. Ich glaube auch nicht, dass das heute noch jemand hören möchte.

Bei der Auswahl der Stücke fällt auf, dass es sich zwar um ein Standard-Repertoire handelt, sich darunter aber etliche sehr selten gespielte Kompositionen finden.
Ich habe, zum Teil im Computer, einfach nach Stücken gesucht, deren Melodie mir gefällt. Von manchen der Titel habe ich bis heute keine andere Aufnahme gehört. "You Are There" von Johnny Mandel zum Beispiel habe ich in einem Songbook gefunden. Beim Spielen auf dem Klavier habe ich festgestellt: tolle Melodie, funktioniert in dieser Tonart aber nicht auf der Trompete. Also habe ich es transponiert und einfach mal die Melodie gespielt. Thilo saß am Klavier und war sofort angetan. Dann habe ich das Stück umgeschrieben und wir haben es einfach gespielt. Aber ich weiß bis heute nicht, wie das Original klingt. Nie gehört. Diese Freiheit in der Aneignung des Materials hat sich auch auf die sehr bekannten Stücke des Repertoires ausgewirkt. "Body And Soul" beispielsweise wird zumeist als Ballade interpretiert, wir haben darin aber eher einen langsamen Bossa gesehen und es folglich auch so aufgenommen.

"Laugh And Run Away" von Oliver Gannon ist ein weiteres Beispiel für eine herrlich eingängige Melodie, die - von enzyklopädisch beflissenen Jazz-Gitarristen einmal abgesehen - kaum jemand kennen dürfte.
Die Noten habe ich im Computer gefunden. Zunächst wusste ich nicht einmal, wer das Stück komponiert hat. Dazu musste zunächst beim Absender der Homepage anrufen. Ich denke, es wird nicht viele Hörer geben, die dieses Stück kennen. Trotzdem wird es Ihnen sofort vertraut vorkommen, und das nicht nur wegen der für Standards so typischen Harmoniefolge.

Ihre letzte, zu Recht von Musikern, Kritikern und Publikum gleichermaßen hoch gelobte CD "Healing Forces" bestand ausschließlich aus Eigenkompositionen, dem ein Fachblatt sogar Standard-Qualitäten zugesprochen hat. Warum haben Sie den Weg der Originals verlassen und sich für die Einspielung eines reinen Standard-Albums entschieden?
Weil ich das schon lange machen wollte. Ich habe natürlich permanent und in vielen Bands und Orchestern Standards gespielt, aber nie so ganz in meiner Sprache. Und genau darum ging es mir. Ich wollte das in erster Linie für mich selbst tun. Als ich mich dazu entschlossen habe, hatte ich von der Richtung noch keine Ahnung. Die hat sich dann im Studio in der Zusammenarbeit mit den Musikern fast von allein ergeben. Ich wollte ganz einfach schöne Melodien aufnehmen, die harmonisch einer bestimmten Form folgen. Das hat mich gereizt. Genauso wie ich mir vorstellen kann, in Zukunft eine Duo-Platte einzuspielen oder ein Projekt mit Streichern zu machen.

Es gibt also genug, auf das man sich freuen kann.
Da können Sie ganz sicher sein. Das ist ja das Faszinierende: Die Freude an der Musik hört nie auf.